Akademietheater /// 18. Oktober 2025 /// Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos
Man weiß nicht, ob einem das Lachen im Halse stecken bleibt oder nicht in dieser eindringlichen Inszenierung von Werner Schwabs Radikalkomödie. Sicher ist: neben allem Schmunzeln überwiegen Ernst und bitterer Beigeschmack.
Drei Dioramen eröffnen sich dem Publikum in rund 120 Minuten Schauspiel. Ein vollkommener, ungeschönter, ja, bizarrer Einblick in drei Wohnungen eines Mietshauses.
Die erste bewohnen Sohn Herrmann (Stefanie Reinsperger) mit seiner tiefreligiösen Mutti Frau Wurm (Maresi Riegner). Nur noch genetisch scheint die Bindung zwischen Mutter und beinahe erwachsenen Kind: erstere schlägt sich mit ihrem speziellen Sohn herum, während letzterer abscheuliche Mordfantasien gegen das Elternteil hegt.
An dem Lärm der sich gegenseitig Verfluchenden stört sich unter anderem Familie Kovacic: Herr (Sebastian Wendelin) und Frau Kovacic (Zeynep Buyraç) mitsamt den Töchtern Bianca (Jonas Hackmann) und Desiree (Tilman Tuppy). In deren zweitem Diorama wird das Publikum Zeuge des gewollten und doch nicht gekonnten Miteinanders eines «Familiengebirges» in flauschig grüner Sofalandschaft. Eine herrische Mutter, keifende Töchter und ein eigentlich hilfloser Vater. So hilflos das am Ende der Goldhamster dran glauben muss, um den angestauten Aggressionen ein Ventil zu bieten. Bereits hier auffällig ist der Alkohol, dessen sich alle bedienen, um aus dem Ekel und dem Ärger vor der Welt zumindest für kurz in eine «schöne Gemütlichkeit» zu entfliehen.

Klimax dieses köchelnden menschlichen Mit- und Gegeneinanders ist die verwitwete Frau Grollfeuer, die den größten Ärger gegen alle Parteien hegt. Sie ist es auch, die alledem ein Ende bereiten möchte, und zum Geburtstag lädt. Vergifteter Alkohol ist nun nicht mehr nur Werkzeug des Schöntrinkens, sondern beendet all den kulminierten Hass dreier Wohngemeinschaften auf einen Schlag.
Niemandem ist es zu verdenken, wer im Titel «mein Leben ist sinnlos» las. Und dennoch ist es die Leber. Denn wenngleich der Alkohol (oder zur Idiotie verklärte Religion) den Protagonisten der einzige Rettungsanker ist, wird auch dieses Trugbild ganz zu Schluss in einem langatmigen philosophisch-moralisierenden Monolog von Frau Grollfeuer zerschlagen: Nichts hilft gegen diese Welt, so man gegen sie ist. Weder Alkohol, noch eine gute Leber. Es scheint – so eine Deutung des Stoffes – erst der Tod lässt das menschenfreundliche Licht scheinen, das nötig ist, um einander zu lieben.

Um alle Facetten der Inszenierung (Regie: Fritzi Wartenberg) fassbar zu machen, muss für diesen nachbesprechenden Text unterteilt werden.
Zunächst in ein hochkarätiges Ensemble und erstklassige Ausstattung: Allen voran Stefanie Reinsperger weiß und – vor allem – kann es einen überzeugenden, ekligen, lustigen, ja zu weilen pumucklesken Herrmann zu verkörpern. Nicht nur der roten Haare wegen. Ein zutiefst zerrissener Charakter zwischen kindlichem Sein und abstrusen Gewaltfantasien.
Das restliche Ensemble wird ebenfalls der jeweiligen Rolle prägnant gerecht: Zeynep Buyraç als dominante Ehefrau, Sebastian Wendelin als väterlicher Sturm ohne Wind. Auch Jonas Hackmann und Tilman Tuppy als Töchter bringen es pubertierend und garantiert unter der Gürtellinie auf den Punkt. Zwischen all diesem situiert ganz farblos und doch hämisch Maresi Riegner als Frau Wurm, neben einer manirierten Franziska Hackls als Witwe. Dennoch muss man feststellen, dass aller Biss, der dem Stück anfangs noch innewohnte, mit der Zeit immer weiter aufweicht.
Die Bühne (Jessica Rockstroh) macht dem hervorragenden Ensemble große Konkurrenz im Können. Waagerecht ragen die Wohnungen gewissermaßen von der Wand hängend in das Publikum hinein. Alle Protagonisten hangeln sich durch ihr abgründiges Leben zwischen Abwasch, Sessel und Esstisch. Erst Frau Grollfeuer verlässt diese Szenerie für ihre letzten Worte aufrecht gehend (Choreographie & Körperarbeit: Sabina Perry).

Zweite Perspektive ist die Sprache. Typisch Schwabisch werden Satzgefüge aufgereiht und dekoriert. Wobei als Dekor die Monstrositäten des niedersten Wortschatzes dienen. Die Eindringlichkeit der Sprache und Darbietung verliert jedoch immer mehr. Zuletzt in der großen Rede der Frau Grollfeuer. Als Teil der Fäkaliendramen Schwabs scheinen Dialoge auf den ersten Ohrenschein als arg derber Humor. Erst der in Gänze dekodierte Satz wird gewaltsam, brutal, purer Ekel, ein Konzentrat an Hass. Durch stete Wiederholungen stumpft der Gehörsinn irgendwann ab.
«Dem Weib gehört unten eine Handgranat in den Leib gesteckt; und wumm.»
So bleibt als drittes und am Ende neben allem Witz und allem Erstarren der verstörende dramatische und tief pessimistische Stoff eines traumatisierten und verletzten, eines hilflosen Kindes. Drei verzweifelte Akte der Bewältigung von Trauer und Angst in einem öffentlichen und entstellenden Format. Umso drastischer der Zirkelschluss von Drama und Realität: Denn der junge Werner Schwab diente dem von ihm selbst geschaffenen Herrmann als Vorlage. Jenem Herrmann, der im Stück mit der Wirklichkeit analogisiert wird, ehe nach allem Alkohol, der auch im Stück floss, die wahre Wirklichkeit zurückschlug und Schwab 1994 35-jährig selbst an einer Alkoholvergiftung starb.
VOLKSVERNICHTUNG ODER MEINE LEBER IST SINNLOS von Werner Schwab Frau Wurm: Maresi Riegner | Herrmann: Stefan Reinsperger | Herr Kovacic: Sebastian Wendelin | Frau Kovacic: Zeynep Buyraç | Bianca: Jonas Hackmann | Desiree: Tilman Tuppy | Frau Grollfeuer: Franziska Hackl | Regie: Fritzi Wartenberg | Bühnenbild: Jessica Rockstroh | Kostüme: Esther von der Decken | Choreographie & Körperarbeit: Sabina Perry | Sounddesign/Musikalische Leitung: David Rimsky-Korsakow | Licht: Norbert Piller | Dramaturgie: Christina Schlögl
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Fotos: © Tommy Hetzel