Burgtheater /// 16. November 2025 /// Gullivers Reisen
Das ließ bereits die zeilenweise Auflistung der Komparserie im Programm vermuteten und bestätigte der trotz seiner zweieinhalb Stunden Länge sehr kurzweilige Abend. Auch sonst fehlte es der Inszenierung von Gullivers Reisen an fast gar nichts.
Es steht nicht zur Diskussion, dass man Jonathan Swifts Gullivers Reisen (Gulliver’s Travels) heute im etablierten Kanon der Weltliteratur verortet. Wenngleich oft ausgelassen wird, dass es sich ursprünglich nicht um ein Jugendbuch, sondern um in Abenteuern erzählte Gesellschaftskritik handelte, die Swift so versuchte vor der Zensur zu verstecken. Beide Perspektiven auf das Werk versucht die Inszenierung am Burgtheater der literarischen Vorlage ebenbürtig und mir viel Charme herauszukehren.
Wie bereits bei Nils Strunks (Regie, Musik) Zauberflöte findet sich die Handlung – diesmal jedoch konkret auserzählt – eingebettet in die Rahmenerzählung einer Theatervorstellung: der Neffe Gullivers inszeniert die Abenteuer seines in die Jahre gekommenen Onkels, welcher an diesem Abend auch wiederholt durch die Szenerie tapert.
Der Vierakter orientiert sich stark am Original Swifts, dessen Inhalt hier nicht detailliert wiedergegeben werden muss. So sticht Gulliver zunächst als Schiffsarzt in See und strandet nach einem Unglück im Reich der Lilliputaner. Weitere Reisen enden – oder: beginnen vielmehr – durch unglückliche Verstrickungen in Brobdingnag bei den Riesen, in Laputa, wo gedankenversunkene Naturwissenschaftler die Welt mit wenig Erfolg zum Besseren kehren möchten und zuletzt im Houyhnhnmsland, in welchem das ideale Geschöpf in Gestalt intelligenter Pferde konträr zu den Menschen in Eintracht lebt.

Es ist keine Überraschung bei einer Inszenierung des einspielten Duos von Lukas Schrenk (Regie, Songtexte) und Nils Strunk nicht nur bloßes Sprechtheater zu erwarten. Nach einer beinahe schon seit drei Jahren laufenden Zauberflöte, einer Schachnovelle mit verlässlichen Standing Ovations und einer beim breiten Publikum beliebten Kurzfassung von Bizets Carmen an der Volksoper, wartete man nun auf den nächsten Genie-Streich. Den nächsten Schrenk-Strunk-Moment.
Viele Elemente kennt man schon aus vorherigen Inszenierung. Auch Strunks Music(al)-Stil zwischen Klangkulisse, Pop-Hymnen und Rap ist unverkennbar und eingängig. Auch wenn die Songtexte Schrenks diesmal hinter dem Niveau früherer Streiche weit zurückbleiben („Ihr wollt Riesen sein. Steht auf und lauft“). Und doch ist einiges neu.
Zunächst einmal der fürs Burgtheater ungeheure Einsatz von Mensch und Material. Ein Schiff mit voller Besatzung steht auf der Bühne, welche später als Herde von Yahoos über die Bretter prescht. Auch die Musikgruppe ist neben Klavier, Bass/Gitarre und Schlagwerk um Synthesizer, Cello und Holzblas gewachsen.

Gänzlich neu ist jedoch die Hülle und Fülle, was Bühnenbild (Maximilian Lindner), Requisiten/Kostüme (Anne Buffetrille, Lara Regula) und Licht (Roman Sobotka) anbelangt. Eine ganz konkrete Bildsprache. Fast kein Detail, das sich nicht ausinszeniert auf der Bühne wiederfindet. Und dennoch wirkt keine Szene überladen. Besonders hervorzuheben ist dabei das – durchaus auch notwendige – Spiel mit den Dimensionen. Gekonnt wird geschrumpft und vergrößert, wobei Beleuchtung und Sounddesign (Alexander Nefzger) die wortwörtlich fantastischen Schlüssel der Effekte ist: denn den Rest übernehmen das simultane Spiel und die eigene Fantasie.
Wie in vorangegangenen Produktionen drückt Strunk auch dieser Inszenierung ihren augenscheinlich zeitgenössischen Stempel auf: barockeske Kostüme neben einem oft stillen Cembalo, das immerhin rezitativhaft zusammengeraffte Szenen musikalisch untermalt.
Bis zur Pause ist die Handlung gedrängt durchorchestriert, man kommt kaum zum Luftholen. Nährt die Pause noch den Boden neuer und höherer Erwartungen, schlägt der zweite Teil vergleichsweise ruhige Töne an. Nach der Opulenz der ersten beiden Abenteuer lässt die nunmehr minimalistische Ausgestaltung etwas durchhängen, gibt aber auch Zeit nach dem Schlag-auf-Schlag-Abtausch der ersten 100 Minuten wieder auf den Boden der Tatsachen – ein wenig auch in die kalte Realität – zurückzukehren. Gunther Eckes überzeugte bereits in der Zauberflöte als „Heldentenor“ und wird dieser Rolle auch diesmal wieder als junger Gulliver gerecht.
Lola Klamroth, Rebecca Lindauer, Dietmar König, Annamária Láng, Stefko Hanushevsky und Markus Meyer schlüpfen derweil von Akt zu Akt, von Eiland zu Eiland in neuen Rollen und zeigen sich agil, flexibel, überzeugend und mit Witz; verschmelzen zuweilen mit der Komparserie, treten ein andermal als authentischer Einzelcharakter hervor.

Bleibt zuletzt noch Martin Schwab zu nennen, dessen Rolle des senilen Gulliver sich im Laufe des Abends zunächst mit alzheimergespickten Gefühlswallung der Melancholie, die Schauspiel und Erlebtes scheinbar verwachsen ließen, abnudelte. Erst zu Schluss zieht er als alter Gulliver – selber in fortgeschrittenen Lebensjahren – beeindruckend ausdrucksstark das moralische Fazit des Abends: aus der feinen Melodie eines Liedermachers erwächst im Tutti „Wir sind alle Sklaven, Schurken und Narren“.
GULLIVERS REISEN Spektakel für Alle von Nils Strunk und Lukas Schrenk nach dem Roman von Jonathan Swift
Gunther Eckes | Stefko Hanushevsky | Lola Klamroth | Dietmar König | Annamária Láng | Rebecca Lindauer | Markus Meyer | Martin Schwab
Regie: Nils Strunk, Lukas Schrenk | Bühnenbild: Maximilian Lindner | Kostüme: Anne Buffetrille, Lara Regula | Musik: Nils Strunk | Songtexte: Lukas Schrenk | Sounddesign: Alexander Nefzger | Studienleiter: Alexander Xidi Christof | Licht: Roman Sobotka | Dramaturgie: Rita Czapka
Live-Musik:
Nils Strunk/Alexander Xidi Christof (Klavier) | Jörg Mikula/Amir Wahba (Rhythmus) | Bernhard Moshammer/Nikolaus Waltersdorfer (Gitarre, Bass, Cuatro, Gesang) | Richie Winkler/Manuel Ernst (Bassklarinette, Klarinette, Duduk, Whistle, Querflöte) | Rina Kaçinari/Gudula Urban (Cello, Gesang) | Hans Wagner/Barry O’Mahony (E-Gitarre, Synthesizer, Elektronik)
Mehr Informationen unter Gullivers Reisen, ein Spektakel für alle
Fotos: © Tommy Hetzel

