Juices /// 06. Juni 2025 /// Schauspielhaus Wien
Mit der österreichischen Erstaufführung von “Juices” bringen das Schauspielhaus Wien und das Institut Schauspiel der MUK einen Abend auf die Bühne, der gekonnt und berührend zugleich über das Fuß Fassen in Österreich erzählt – und zwar aus der Sicht der Kinder von Arbeitsmigrant:innen.
Nach der Uraufführung ihres dramatischen Erstlings “Tragödienbastard” am Schauspielhaus Wien (2021 mit dem Mühlheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet) gelingt Autorin Ewelina „Ewe“ Benbenek mit “Juices” erneut ein sprachliches Feuerwerk: Kunstvoll löst sie eine individuelle Lebensgeschichte aus ihrem Einzelschicksalsdasein heraus und verleiht der kollektiven Erfahrung einer gesamten Generation Ausdruck.
Ich hänge!
Das Ensemble des Abends, bestehend aus dem 3. Jahrgang des Instituts Schauspiel der MUK, brilliert unter der Regie von Florentine Krafft: Lara Horvath, Marko Kerezović, Maxim Lohse, Jakob Merkle, Tara Michelsen, Konstantin Mues Bœuf, Una Nowak und Jasmin Weißmann spielen alle gemeinsam ein vielstimmiges Ich und jonglieren nur so mit Perspektiven, Positionen und Haltungen. Immer wieder verschmelzen sie scheinbar zu einem einzigen, vielgliedrigen Körper, so koordiniert und aufeinander abgestimmt sind die Bewegungsabläufe und Standbilder (Choreographie: Melina Papoulia). Problemlos hüpfen sie auch zwischen konkreten Situationen und Metaebene hin und her. Geht es zu Beginn des Abends um das Gefühl des Abrutschens, des Hängenbleibens, so wird dieses auf humorvolle Weise in die Sprachgestaltung überführt: Man bleibt hängen im Text, stockt, und manchmal kommt man über ein langgezogenes Aaaahhh gar nicht erst hinaus. Am liebsten möchte man nochmal anfangen. Hilfesuchende Blicke werden zu den Mitspieler:innen geworfen, die augenblicklich übernehmen. Alleine schon für diesen furiosen Anfang – oder sollte man sagen, die Anfänge? – lohnt sich der Theaterabend.

Abrutschen
A-a-aaalso. Schnell schwillt das anfängliche Gestotter an und entwickelt sich zu einem mitreißenden Gedankenstrudel. Erzählt wird von den polnischen Eltern, die unter prekären Arbeitsbedingungen als Putzkräfte und Erntehelfer nach Österreich kamen. Und davon, wie kräftezehrend und schweißtreibend die eigene ständige Angst “abzurutschen” ist. Dabei steht ein vom Ensemble bravourös gemeistertes, dekonstruierendes Sprachgestammel auf dem Programm. All die gespielten Versprecher, weisen sie auf ein Kommuniktionsversagen hin, sozusagen auf ein gebrochenes Versprechen? Auf die Absurdität eines Wortes wie „Aufenthaltsgenehmigungsverfahren“? Es ist ein Sprechen, das sich wieder und wieder im Kreis bewegt, in endlosen Repetitionen und dabei den den Traum vom Aufschwung dekonstruiert. „In dem Moment, in dem du dich aufgeschwungen hast, rutscht du schon wieder ab.“
Neben der Schauspielleistung überzeugt an diesem Abend vor allem die Bühne (Matthias Dielacher, Chani Lehmann). Sie wandelt sich – vom Schaumbad zum Großraumbüro zur Tribüne. Außerdem baumelt da noch der Kronleuchter an der Decke. Ein prächtiges Designerstück, so meint man zunächst, Inbegriff eines glanzvollen Lebens in Mitteleuropa. Doch die Illusion zerfällt sehr plastisch in Stücke, als der Kronleuchterbehang als Sammelsurium von dreckgefüllten Plastikputzeimern enttarnt und vom Ensemble abmontiert wird.

Spargeldisko
Auch die zweite Generation verdrängt. Verdrängt die Erinnerung an die prekären Arbeitsbedingungen der Eltern bei der Spargelernte. Doch bei einem freien Wochenende am Badesee wird so manches erneut bewusst, und schlechtes Gewissen regt sich, das Wochenende überhaupt erst frei genommen zu haben. Während das Stück in der ersten Hälfte des Abends rasant Fahrt aufnimmt und auch durch stimmige Szenenübergänge fasziniert, verliert sich im weiteren Verlauf alle Unbeschwertheit. Eine Tanzeinlage in Spargelkostümen vermag es durch ihre szenisch interessant gesteigerte Absurdität einen wunden Punkt zu treffen, die anschließende Parodie der Europahymne im Chor ebenso. Am Ende verdichtet sich der Bewusstseinsstrom zu einer Anklage: Die Osterweiterung der EU – so der Vorwurf – trug ihren Teil zur prekären Situation von Arbeitsmigrant:innen bei.

Tun Sie sich das anschauen!
“Juices” ist ein Abend voller Überraschungen, der zwischen Schrift- und Umgangssprache wechselt, beinahe am laufenden Band Neologismen schöpft, und bekannte Phrasen umdreht und abklopft. Hoch im Kurs stehen dabei Tun-Sätze. Deshalb unsere Empfehlung: Tun Sie sich das anschauen!
JUICES von Ewelina „Ewe“ Benbenek | Regie: Florentine Krafft | Bühne und Kostüme: Matthias Dielacher, Chani Lehmann | Musik: Johannes Mittl | Dramaturgie: Marie-Theres Auer, Tobias Herzberg | Choreographie und Regieassistenz: Melina Papoulia | Licht: Chris Pichler | Ton: Benjamin Bauer | Regiehospitanz: Eva Weinlich
Mit: Lara Horvath, Marko Kerezović, Maxim Lohse, Jakob Merkle, Tara Michelsen, Konstantin Mues Bœuf, Una Nowak und Jasmin Weißmann.
Mehr Informationen unter Juices
Fotos: © Marcella Ruiz Cruz