Über 100 Jahre ist es her, dass Arthur Schnitzler seine Novelle Fräulein Else schrieb. Die neue Inszenierung von Leonie Böhm zeigt, dass der Stoff kaum an Relevanz verlor. Die junge Else, die sich in einer ausweglosen Situation befindet, wird von Julia Riedler meisterhaft zum Leben erweckt.
Else befindet sich mit ihrer Tante und ihrem Cousin Paul auf Urlaub in einem idyllischen Kurort. Die entspannte Atmosphäre wird von einem Brief von Elses Mutter gestört. Dort steht, dass sich Elses Vater hoch verschuldet hat. Er muss binnen zwei Tagen seine Spielschulden von 30.000 Gulden begleichen, sonst droht ihm die Haftstrafe. Else soll einen Freund der Familie, einen reichen Kunstsammler namens Dorsday, der sich im selben Hotel aufhält, um das Geld bitten. Widerwillig erfüllt Else die Bitte ihrer Eltern. Für Else ist es keine leichte Aufgabe Dorsday nach dem Geld zu fragen, da sie keine Sympathien für den reichen alten Mann hegt. Dorsday ist willig das Geld herzugeben, aber nur für eine Bitte. Else soll sich 15 Minuten lang vor ihm entblößen. Diese Nachricht ist für die junge Frau ein großer Schock, für sie bricht eine Welt zusammen.
Fragen über Scham, Machtmissbrauch und der Wert des eigenen Körpers werden in diesem Text immer wieder in den Vordergrund gestellt.
Das Publikum als Akteur:
Am Anfang des Stückes befindet sich Else in den Reihen des Publikums. Dem Publikum kündigt sie an, was sie während der Aufführung als Else tun wird. „Ich werde heute noch Veronal nehmen!“, kündigt sie den Zuschauer:innen an. Dann fragt sie, ob jemand weiß, was das überhaupt sei. „Ein Barbital!“, ruft eine Frau aus dem Publikum. Die Nebencharaktere, wie der Cousin Paul, die Tante oder der Filou werden von Else vor Ort ausgewählt. Diese werden immer wieder dazu aufgerufen, mit Else über das Geschehene zu reflektieren. Als Else einen Spendenaufruf startet, um ihrer prekären Lage zu entfliehen, bekommt sie nur zwei Brillen im Wert von 330,- € von zwei Zuschauer*innen – zu wenig, um ihr Schicksal zu wenden.
Als es dann zur Entblößung kommt, haben die Theaterbesucher*innen die Rolle des Dorsday eingenommen. Man hat Geld dafür gezahlt, um die bis auf die Unterhose nackte Else zu sehen. Aber die Else auf der Theaterbühne spürt keine Scham – im Gegenteil, sie ist diejenige, die das Publikum fest im Griff hat. Mit höchstinteressanten Bemerkungen lenkt sie die Aufmerksamkeit von sich weg. Man wird unter anderem dazu aufgerufen, den Theatersaal des Volkstheater genauer zu inspizieren.

Die Frau des Abends:
Julia Riedler ist die Frau des Abends! Sie steht als Luise allein auf der leeren Bühne. Mit einer vielschichtigen Performance kann sie das Publikum für sich gewinnen. Ihre Mischung aus improvisierten „Crowd-Work-Comedy“-Einlagen, langen Monologen und akrobatischen Tanzeinlagen auf einem Kronleuchter reißt sie das Publikum mit einer ungeheuren Energie mit. Mit viel Witz und Charme verleiht sie der Figur der Else neue Facetten. Riedlers Else geht am Schluss nicht unter wie in Schnitzlers Erzählung. Nein! Sie blüht förmlich auf. Julia Riedler bietet 90 Minuten lang eine fulminante „One-Woman-Performance“. Mit ihr gibt es den ganzen Abend keine einzige langweilige Minute.

Leonie Böhm und Julia Riedler haben mit Fräulein Else eine außergewöhnliche Inszenierung geschaffen, die Schnitzlers Novelle eindrucksvoll in die Gegenwart transportiert. Mit klugen, innovativen Ansätzen fordert sie das Publikum heraus, sich mit brisanten Themen wie sexueller Macht und gesellschaftlichen Zwängen auseinanderzusetzen. Diese Fragen werden mit Feingefühl und Tiefgang behandelt. Die Inszenierung ließ niemanden unberührt – das Publikum dankte mit „Standing Ovations“.
Fräulein Else
frei nach Arthur Schnitzler
von Leonie Böhm und Julia Rieder
Mit: Julia Riedler
Inszenierung: Leonie Böhm, Julia Riedler
Bühne und Kostüm: Belle Santos
Lichtdesign: Ines Wessely
Dramaturgie: Matthias Seier
Co-Dramaturgie Vorproben: Helena Eckert
Fotos: © Marcel Urlaub
Mehr Infos:
https://www.volkstheater.at/
Nächste Aufführungen:
13.02.2025 // 23.02.2025 // 07.03.2025 // 16.03.2025 // 20.03.2025 // uvm.